07/11/21 Ein fantastischer Abend für H.C. Artmann im Kabinetttheater


Man betritt das Theater in der Porzellangasse 49 durch einen großzügig angelegten Hof, für dessen Begrünung dessen Prinzipalin Julia Reichert auch prämiert wurde. Vor 27 Jahren hat ihr Kabinetttheater in jener Räumlichkeit Einzug gehalten, wo sich einst die erste Wiener Porzellanfabrik befand.Gemeinsam mit dem Musikmanager Christoph Widauer, der mittlerweile auch als „Head of Digital Development“ an der Wiener Staatsoper tätig ist, gründete die Bühnenbildnerin, Autorin und Regisseurin ihr Kabinetttheater bereits in Graz im Jahre1989. Der Theaterraum erwies sich als zu eng, sodass man eben auf jenes Anwesen in 1090 Wien aufmerksam gemacht wurde und dieses zu einer mehr als respektablen Mittelbühne umgestalten ließ. 

Das Repertoire des Theaters, das 2004 den Nestroy-Preis erhielt, bietet vor allem neuere zeitgenössische Literatur und Musik. Mit H.C. Artmann waren Reichert und Widauer eng verbunden. Mehrmals kam er in ihr Haus. So wurde im heurigen Jahr, in dem sich der Geburtstag des Kosmopoliten und Sprachkünstlers zum 100 Male jährt, ein den gegebenen Umständen angemessenes und  umfangreiches Programm gewidmet. Den Ausklang bildete eine Collage aus Minidramen, Prosa und Gedichten, die am 07. Dezember 2021 zu sehen war. Der Publikumsandrang war groß, sodass man gleich zwei Vorstellungen, um 17.00 und 20.30 gab.

Der Anfang der Aufführung bestand gleichsam als Antipasti aus dem „prolog der schwarzen köchin zu caspars hochzeit mit gelsomina“. Eine Puppe stellt von vorneherein klar, dass sie Köchin ist und nicht Schauspielerin und erteilt damit jeglichen weiteren Verfremdungseffekt eine deutliche Absage. Auf dem Speiseplan -so möge „das sehr zu verzehrende publikum“ zu Kenntnis nehmen -stehen anlässlich der Hochzeit der Tochter des „herrn menschenfressers sapristi di mangiatutti“ ein „frischgefangener installateur mit bratwurstfülle“ sowie ein „gefüllter handelsvertreter auf fein bürgerliche art“.

Weiter geht es mit dem zwei Personen Dramolett „attila ante portas“, mit Martina Spitzer als chaperon rouge und Thomas Frank als der Hunnenkönig. Dieser erscheint auf einem imaginären Pferd, wobei das Nachahmen der Geräusche des Reitens an Monthy Python´s Satire „Ritter der Kokosnuss“ erinnert. Die Karikaturen gelingen hervorragend, Spitzer lauscht mit einsichtsvollem Kuhblick den belehrenden Ausführungen des Herrschers. Gemeinsam singen sie ein Loblied über den Waldmeister, das zur gekonnten Parodie gerät. Es gilt Abschied zu nehmen und die mechanische Kapelle des donald duck, primus von quark und daniel düsentrieb nehmen am Ende Bezug auf die historische Begegnung. 

Auf einem Tisch werden mit Handpuppen die verwirrenden Ereignisse in „brighella, sauer wie der mann im mond“ wiedergegeben. Frank gibt die Regieanweisungen, Spitzer beherrscht das Chaos auf dem Spieltisch; ein tolles Tempo, ein perfektes Kommentieren der beiden. 

Gruselstimmung kommt beim „how lovecraft saved the world“ auf, Artmann verortet die Uraufführung des „melodrams“ am 18.2.1934 im „kinosaal der gemeinde arkham“, Lovecraft war des Poeten Angaben zufolge Franchot Tone, den Kunstmaler Pickman (eine Figur aus den schaurigen Geschichten des  Mister Lovecraft) spielte Bela Lugosi, Kytloos Schatten Charles Laughton .Bei Kutlyoo oder Chtulhu handelt es sich um ein Grauen erregendes, außerirdisches und  überdimensionales Wesen, das ebenfalls das Werk des US-Horrorautors belebt. Eigentlich sollte es schlafen, erwacht es, bedeutet das nichts Geringeres als den Untergang des Universums. Wie in Artmanns Text beginnt Pickmanns Kolossalgemälde zu schmelzen, der entstehende höllischen Gestank, wie er für die fiktive Aufführung im Kinosaal der Gemeinde Arkham vorgesehen war, bleibt dem Publikum in der Porzellangasse erspart und es verweilt noch.

Nun folgen Prosa und Lyrik des Dichters, mit Musik dargeboten von dem mit dem Wiener Liedgut von seiner ausschweifenden Seite bestens vertrauten Duo Wolfgang Vinzens Wizlsberger (Stimme, Gesang, Euphonium) und Paul Skrepek (Schlagwerk, Kontragitarre, Gesang). Unter anderem „nu ka schmoez how e xogt!“, den „drei gedichten fia d moni“, den Impressionen aus den Außenbezirken Penzing und Ottakring bildeten den zweiten Teil des Programmes.

Am Ende stand die die Adaption François Villons Ballade“ Ich kenne Alles, nur nicht mich“. Gelungener als in der multimedialen Vorstellung lässt sich Artmann wohl nicht würdigen!Neben Schauspiel und Musik seien selbstverständlich auch die SchöpferInnen der Bühne und der Puppen, nämlich Julia Reichelt, Roman Spiess, Burgis Paier, Astrid Grondinger und Michael P. Schultes angeführt, die Technik besorgte Gabriel Tempea, dramaturgisch wurde der Abend von Alexandra Millner betreut. Ad multos annos H.C. (eine unsachgemäße Verwechslung ist wohl von vornherein ausgeschlossen), ad multos annos dem Ensemble in Wien Alsergrund!