Eine notwendig – erschreckende Wiederbelebung:

Das „Theater zum Fürchten“ feiert“ Hochzeit“ von Elias Canetti im Stadttheater Mödling.


Elias Canettis in den 1930er entstandene und erst 1965 uraufgeführte, überaus bissige Komödie ist nur sehr selten auf den Bühnen Österreichs zu sehen. Umso mehr ist es erfreulich, das Stück im Mödlinger Stadttheater, realisiert durch das Ensemble „Theater zum Fürchten“ zu erleben.
Der Einfluss von Karl Kraus, für den sich Canetti zur Entstehungszeit stark begeisterte, ist unübersehbar und so bietet es sich an, nicht so sehr auf Charaktere, sondern vielmehr auf Typen zu setzen.
In Mödling präsentierte man das Stück in einer gekürzten Fassung und das tut dem Tempo der Aufführung gut.


Im Vorspiel sind simultan drei Wohnungen zu sehen. Man könnte die Schauplätze drei wesentlichen dramatischen Genres zuordnen: Die Szene in der Wohnung der Hausbesitzerin Gilz (Bernie Feit), die dort mit ihrem Papagei haust, und die von ihrer Enkelin Toni (Michelle Haydn), ihres Zeichens Erbschleicherin, einen Besuch bekommt, kann der Marke „Volkstheater derb“ zugeordnet werden.


Dem Geschehnis in der Wohnung des Hausmeisters Franz Josef Kokosch (Christoph Prückner), seiner in den letzten Atemzügen liegenden Frau (Eszter Hollósi) und seiner „blödsinnigen Tochter“ Pepi (Anna Sagaischek) ist demnach das Prädikat „Volkstheater sozialkritisch“ zu attestieren.


Und letztlich die Wohnung des „besseren Mädchens“ Anita (Lisa-Marie Bachlechner), der ihr Galan, der „Herr mit dem Blumenstrauß“ Peter Hell (Simon Brader), die Aufwartung macht. Jene Szene könnte nun intendiert sein als „Boulevardkomödie“, beziehungsweise als Parodie auf dieselbe.

Elias Canetti hat sich später von seinem Stück distanziert. Nach dem Besuch der Vorstellung im Stadttheater Mödling, die es gekonnt reaktiviert, muss…

Marius Pasetti / Eine notwendig – erschreckende Wiederbelebung:


Dann wird der Blick frei auf das eigentliche Ereignis, die Hochzeitsfeier. Die bevorstehende Katastrophe wird schon von Anfang an vorweggenommen. Die Mauern des Hauses sind fragil. Ihr Erbauer, der Brautvater Oberbaurat Segenreich ist stark von der Trunksucht gezeichnet und bedient, sein Gesicht zunehmend rot geworden.


Er torkelt großmäulig über den Bühnenraum (herrlich überzeichnet: Roland Seboth). Typen wie er sind brüchig, sind überflüssig geworden. Er ahnt nicht, dass seine Gattin Johanna (Sybille Kos), die auch den Bräutigam konsumiert, ein Verhältnis mit dem Freund des Hauses Doktor Schön (Markus Tavakoli) hat. Gegen Ende wird es ihm ohnehin egal sein.


Michel, der Bräutigam, burlesk von Clemens Fröschl dargeboten, fällt zunächst durch übermäßiges Essen auf. Es geht vorerst fast nur um lukullische Genüsse und natürlich auch um Sex. Der Promiskuität sind keine Grenzen gesetzt. Doktor Bock (nomen est omen, wie bei fast allen Figuren Canettis), ist mit seinen achtzig Jahren noch außerordentlich gierig nach den Damen der Gesellschaft, ungeachtet, welchen Alters diese sind. Hermann J. Kogler verkörpert ihn mit abstoßender Lüsternheit.


Allseits begehrt sind unter anderem die Witwe Zart (Eva-Christina Binder) oder auch die Apothekersgattin Monika Gall (Eszter Hollósi). Ihr wesentlich älterer Ehemann kommt aus dem Staunen nicht heraus. Der an Schwindsucht leidende kann seiner Aufregung nicht so richtig Luft verleihen, ist in kritischen Momenten auf seinen Inhalator angewiesen. Christoph Prückner ist Herr Gall und er macht ihn zu einer Art hilflosen Zombie, zu einem lebenden Toten, der meistens im Abseits zu stehen hat.


An der Jugend, den Kindern des Baumeisters, gehen die Ereignisse heiter vorbei. Unreife Frivolität kommt bei der Braut Christa (Magdalena Hammer) und ihrer bald vierzehnjährigen Schwester Mariechen (Sophia Greilhuber) auf. Der Bruder Karl, Student im dritten Semester (Robert Elsinger), ist mit seinem Pickel übersäten Gesicht ständig auf der Jagd.


In dem Spiel um Lust und Intrigen kommt auch dem Sargfabrikanten Rosig eine gravierende Bedeutung zu. Bernie Feit führt einen übersituierten Bürger vor, der schon längst zum Auslaufmodell geworden ist.
Der Untergang wird eingeleitet von dem von der Damenwelt umschwärmten Idealisten Horch. In einem „Erkenne Dich selbst“ Spiel, das an so manchen Programmpunkt von unsinnigen Motivationsseminaren diverser Firmen erinnert, fordert er auf, sich vorzustellen, das Haus stürze durch ein Erdbeben ein. Wir haben es hier dank Marc Illich mit einem Mutanten Mephistos zu tun, der im zeitgemäßen Outfit eines schicken Intellektuellen die Gesellschaft ins Verderben leitet. Allgemein verzichtet Regisseur Bruno Max allerdings auf unnötige Aktualisierung.


Aus dem Spiel wird Ernst, doch niemand verlässt den Raum! Übermächtig postiert sich der Erbauer des Hauses am Ausgang.
Am Ende kommt es noch zu einem apokalyptischen Bild, deutlich gemacht durch die hell beleuchtete Totenbahre der sterbenden Hausmeisterin. Dann ist nur „Haus.Haus. Haus“, das repetitive Gekreische des Papageis, zu vernehmen.
Elias Canetti hat sich später von seinem Stück distanziert. Nach dem Besuch der Vorstellung im Stadttheater Mödling, die es gekonnt reaktiviert, muss man dem Nobelpreisträger entschieden widersprechen.