„Do your fucking job” – Ein subtextuales und vergnügliches Ereignis: Der Ring des Nibelungen bei den Wiener Festwochen 2022

Foto: ©Sabina Boesch

Aus dem Schauspielhaus Zürich kam eine der Produktionen der diesjährigen Wiener Festwochen, die wohl als ein Highlight des Festivals zu werten ist: Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Adaption von Necati Öziri (Text) und Christoph Rüpnig.


Das Spiel beginnt mit einem etwa halbstündigen Monolog, in dem der Autor über die Entstehung seiner Version berichtet. Hindernisse stellten sich am Anfang ein, denn dort, wo Öziri sozialisiert wurde, war das monströse Werk kein Thema und Musiktheater überhaupt gänzlich unbekannt. Als er seinen Verwandten in Kenntnis setzte, „er mache den Ring“, glaubten diese , er habe vor zu heiraten.


Zweifel kamen freilich auch wegen der sexistischen und rassistischen Implikationen in der Tetralogie auf; doch letztlich triumphierte die Parole „do your fucking job !“
Öziri begann sich vorzubereiten und das nicht ohne Berührungsängste mit der so genannten Hochkultur. Letztendlich machte er sich an die Arbeit, wobei er vorher seinem Onkel das Versprechen abgeben musste, nicht eine einzige Textzeile aus dem „Ring“ vorkommen zu lassen.


Nun betreten zentrale aber auch Nebenfiguren aus dem Werk hintereinander die Bühne. Sie deuten das Geschehen aus ihrer Sicht, aktualisieren es und analysieren ihre Rolle.
Als erste ist Erda an der Reihe. Yodit Tariwaka gibt sie als „Mummy Nature“. Begleitet von den in mit Lametta geschmückten Nornen weiß sie von dem unvermeidbaren Ende, das den Göttern und uns bevorsteht und ruft zur „After History Party“ auf.


Sodann erscheint Alberich. Hätte sich doch eine der drei Rheintochter sich seiner erbarmt und sich auf das von ihm begehrte Liebesspiel eingelassen, die kommenden etwa 16 Stunden würden sich erübrigen. Dies überlegte einst der deutsche Komiker Loriot in seinen Kommentaren über den „Ring“. Anders in der Version von Öziri und Rüping: Hier ist der Nibelung (Nihls Kahnwald) ein adretter Comedian, weit entfernt von der ihm von Wagner zugeeigneten zwergenhaften Hässlichkeit, die wohl eindeutig antisemitische Merkmale erkennen lässt. In der – übrigens angenehm klimatisierten -Messehalle E stellt Alberich dem Publikum die grundsätzliche Frage: „Was ist attraktiv?“. An den Ufern des Rheins buhlt er um Aufmerksamkeit und vergeht sich bisweilen in Publikumsbeschimpfungen.


Eine minimalistisch-musikalische Version des „Walkürenritts“ (Musikalische Leitung: Black Cracker und Jonas Holle) leitet den Auftritt Brünhildes (Wiebke Mollenauer) ein. Sie wirkt zuerst unsicher, bäumt sich jedoch dann als Rebellin unter ihren Schwestern auf und beklagt sich zuletzt über ihr Schicksal an Siegfried den Drachentöter, der das Fürchten nicht kennt, geraten zu sein. Solcher Menschen bedarf es im Grunde nicht, ihnen ist das Privileg, mutig zu sein, fremd.


Als nächstes nähern sich die Riesen Fafner und Fasolt der Rampe. Sie, die Ausgebeuteten mit so gennannten Migrationshintergrund beklagen in heftiger Weise ihr Los. Der Großunternehmer Wotan ließ sie durch sein größenwahnsinniges Projekt „Walhall“ zu Modernisierungsverlierern werden.


Ein phantastisches Rollenporträt Frickas, der Gattin des Hauptgottes, gelingt Maja Beckmann. Man sieht sie zunächst in einem Video aus anfänglich glücklichen Tagen. Im gemeinsamen Ehebett schwärmt sie von diesen, doch bald machen sich dunkle Schatten über den „wonnigen Hausrat“ bemerkbar. Der Gatte wird zur Beute der midlife crises, die obligate Frage nach dem Sinn des Lebens taucht auf. Seine Vielweiberei akzeptiert sie, schließlich hat auch Fricka jemanden kennengelernt.
Ihre Reflexionen gipfeln in einem Oszillieren zwischen Anklage, Spott und dann doch wieder Sehnsucht nach dem „Moment nach dem Sex“.
Doch Fricka übersteht ihre Krise und wendet sich mit den bissigen Worten „Genieße das Ende Wotan“ an den Göttervater.
Und wie verhält es sich mit diesem? Wer will ihn überhaupt heute noch spielen? Die Rolle ist für Matthias Neukirch vorgesehen. Doch der hat es anfangs satt, immer diese Zweiflertypen, sei es Agamemnon, Hamlet oder eben Wagners in Widersprüchen verstrickten Helden, zu geben. Doch schließlich rafft er sich auf, wird zum römischen Cäsaren und stellt seinem Volk die Erfüllung zahlreicher Wünsche wie „Sex für alle“ oder einen klimaneutralen Volvo in Aussicht.
Siegfried begegnen wir nicht, und das ist gut so. Dafür beklagen der Waldvogel und der Drache, das Eindringen des rüpelhaften Heroen in ihre Idylle. Der „Ring“ in seiner Gesamtheit wird schließlich auf ein Märchen reduziert und bleibt in Öziris Version dennoch als überzeitliches Gleichnis bestehen.


Erdas Vision vom dunklen Ende bleibt aus, das Publikum wird aufgefordert an einem get together on stage teilzunehmen, in dem zur Kerzenfabrik umgedeuteten Nibelheim.
Die Produktion liefert überaus geeignete Subtexte für so manche SängerdarstellerInnen. Es bleibt zu hoffen, dass sie in Österreich irgendwo irgendwann noch einmal zu sehen sein wird.