„Wien drehte auf“

Eine kurz gehaltene Auswahl an Beobachtungen zum Kultursommer 2.0
Ein zum Eistanitzel umstilisiertes Mikrophon ziert das Titelblatt des Programmheftes zum heurigen Kultursommer, der mit 15. August zu Ende ging. Publikum und KünstlerInnen waren, wie vielleicht einmal mehr damit suggeriert werden soll, hungrig auf Kultur gewesen, um den nahezu inflationär gewordenen Vergleich zur Kulinarik zu bemühen.

„Aufwind für die Kulturszene und einen Kulturgenuss für viele Menschen“

Veronica Kaup-Hasler


Zum zweiten Mal, die Pandemie machte es möglich, wurde den WienerInnen ein vielvielfältiges Kulturprogramm geboten. 2000 KünstlerInnen waren bei kostenlosem Zutritt an 400 Veranstaltungsorten zu erleben, sowohl im Zentrum wie auch an der Peripherie der Stadt.
Bei einem derartig breitgefächerten Programm ist es freilich schwierig, Bilanz zu ziehen. Von offizieller Seite fällt sie naturgemäß positiv aus. Bürgermeister Michael Ludwig erkennt im Kultursommer rückblickend ein einzigartiges Erfolgsmodell und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler spricht von einem „Aufwind für die Kulturszene und einen Kulturgenuss für viele Menschen“

Was brachte der Kultursommer, bleibt er eine Institution auch dann, wenn die Pandemie überstanden ist?

Marius Pasetti / „Wien drehte auf“


In der Tat, der Wiener Kultursommer brachte eine internationale Vorbildwirkung mit sich, ähnliches wurde in Hamburg oder New York aufgenommen. Doch welche Relevanz hat die Veranstaltungsreihe für die kulturhungrigen WienerInnen und die zahlreichen KünstlerInnen?
Letztere haben die Chance, auf sich aufmerksam zu machen, für die Bekannteren unter ihnen eröffnete sich die Möglichkeit, dranzubleiben. Der Nino aus Wien beispielsweise konnte neue Songs präsentieren, die im Lockdown entstanden sind und auch zahlreiche Literaten stellten ihre Neuerscheinungen vor.


Marc Carnal und Peter Waldeck deckten in einer Doppellesung am Nachmarkt die Absurdität der e-mail- Kommunikation generell und im Besonderen während der diversen Lockdowns auf. Neue Konzepte wurden in satirischer Verfremdung erdacht. So wird ein mit Sex – und Musicaleinlagen bereichertes Remake der Schulfernsehsendung aus den 1970er Jahren „Russisch für Anfänger“ angekündigt.


Peter Clar und Markus Köhle lasen aus ihrem jüngst erschienen wortakrobatischen Lexikon zu den Olympischen Sommerspielen 2020(1) „Schneller, höher und so weiter“.


Auf dem theatralen Sektor stellte sich ein Hauch von nostalgischem Aktionismus ein. Ältere Semester wie ich erinnern sich an „Das Dario Fo -Theater in den Arbeiterbezirken“ der Prinzipalin Didi Macher. Ähnliches wurde in der „hundsgemeinen Mitbestimmungskomödie“ „In Grund und Boden“ des Augustin – Mitbegründers Robert Sommer geboten. Das Publikum darf entscheiden, ob ein Gemeindebau privatisiert werden soll oder gleich die ganze Stadt, wobei jede(r) EinwohnerIn 216m2 Grund erhalten soll. Die Bereitschaft zum Voting war allerdings sehr zurückhaltend.


Einen breiten Raum nahmen auch die Kabarett-Darbietungen ein, unter anderem vertreten durch Aida Loos Barbara Schandl, Sebastian Hochwallner, Miriam Hie oder altbekannten Künstlern wie Joesi Prokopetz oder Leo Lukas. Surreal wirkte die Vorstellung der aus den FM4 ModeratorInnen bestehenden Gruppe „Das Magische Auge“. Enthüllt wird in ihrem Programm beispielsweise, wie dating apps bereits im Mittelalter entstanden sind.


Am Besten besucht war die Nachtclubszene, jeden Freitag und Samstag fanden sich zahlreiche „ausgehungerte“ Disco Fans auf der Club-Bühne bei der Donaustadtbrücke zum „Saturday Night Fever“ ein, um sich den Klängen der DJs und Live Musiker in gebotenen Anstandsregeln zu erfreuen.
Das Verhalten des Publikums war ganz generell reserviert. Bei dem Konzert der Band „Café 20?20?“ wippte man im Liegenstuhl zur Tanzmusik.
Mitmachen war allerdings bei den zahlreichen Tanzworkshops angesagt und hierbei ist unbedingt die „body, sound and poetry“ performance „ Spinning Wheel“ der Gruppe „Public Move“ herauszuheben, die mit „körperbeeinträchtigten“ Kindern arbeitet.


Nicht unerwähnt bleiben dürfen die gegenüber dem Vorjahr erweiterten Kinderprogramme und auch die Angebote an SeniorInnen, die von den KünstlerInnen in 12 Pensionistenheimen besucht wurden.
Auch hier wie in vielen anderen Genres könnten, noch zahlreiche Beispiele angeführt werden. Doch kommen wir zurück zur anfänglich ins Spiel gebrachten Frage:

Was brachte der Kultursommer, bleibt er eine Institution auch dann, wenn die Pandemie überstanden ist? Für einige „Shootingstars“ bot er eben jene Chance, sich in der Kulturszene längerfristig zu behaupten. Ob sich ihre Hoffnungen auf „Nachhaltigkeit“ erfüllt, wird noch zu beantworten sein.