Dreißig Minuten – ein Dialog für eine Person

Es ist diese halbe Stunde vor dem ersten Schritt auf die Bühne die nichts Erhabenes, geschweige denn Glamouröses hat. Ich sitze da, im Outfit und dem Make up einer anderen Person und in mir schreit es. 

„Verdammte Scheiße, hau ab. Was tust du hier überhaupt?“ – 

„Ich kann nicht gehen, das Stück, die Kolleginnen, das Publikum!“

„Die werden es überleben, aber du nicht!“

Ich winke ab. Atme tief durch. Lasse den Weg und den Text des Stückes wie eine Formel-Eins Fahrerin vor meinem inneren Auge vorbei ziehen. Mein Magen rumort.

„Wahrscheinlich hast du eine Lebensmittelvergiftung und kotzt auf die Bühne. Oder kackst dich an. Oder beides.“

„Halt deinen Mund.“

„Aber du kannst es ja mit ins Spiel nehmen. Hahaha.“

Mein Herz fängt an zu klopfen, der Text des Stückes rezitiert sich wie von selbst in meinem Kopf. Ich stehe auf, nehme die Körperhaltung eines anderen Menschen an. Eine meiner Kolleginnen spuckt mir über die Schulter. „Toi, Toi, Toi. Viel Spass!“. Wieso sind alle so fröhlich? Ich versuche zu lächeln. „Wird schon schiefgehen!“ Meine Kollegin zwinkert mir zu und gibt anschließend stimmwärmende Tatatas, Tototos und Tititis von sich. Ich schnaube wie ein Pferd, um meine angespannten Lippen zu lockern. Mein Herz stolpert.

„Herzinfarkt auf der Bühne. Super Abgang. Wenigstens spricht man dann eine Zeit lang über dich. Weißt du eigentlich, dass der Körper alles loslässt, wenn man stirbt? Und mit alles meine ich ALLES.“

„Ich glaube, wenn ich sterbe ist das mein geringstes Problem.“ 

„In der Zeit, in der Fäkal-Humor noch en vogue war, wäre das ein Wahnsinns-Show-Act gewesen. Aber heutzutage. Brrrr.“

„Bitte tu mir den Gefallen und halte endlich deinen Mund“

„Apropos. Text noch intus?“

„Ja.“

„Sicher?“

„Ja!“ 

„Dann spring doch mal gach zu Akt Zwei, Szene drei.“

Ich höre wie das Publikum raunend Platz nimmt und habe von einer Sekunde auf die andere ein komplettes Blackout. Mein Text ist weg. Egal, der kommt wieder, nicht nachdenken darüber. Atme, konzentriere dich auf deine Rolle. Geh in der Figur. 

„Du wirst da draußen so abstinken. Geh gleich heim, bevor es peinlich wird.“

Dreißig Minuten – ein Dialog für eine Person / Heidi Salmhofer

„Du wirst da draußen so abstinken. Geh gleich heim, bevor es peinlich wird.“

Fünf Minuten vor Auftritt überlege ich eine Hundertstelsekunde lang, wer denn für mich einspringen könnte.

„Ich!“

„Du hast einen Vogel. Unter Garantie nicht.“

Das Licht im Publikumsraum geht aus. Es wird still. Ich muss auf die Toilette. 

„Ich bin gespannt wie lange du zusammenzwicken kannst. Wenigstens macht diese innere Anspannung  dein Spiel interessant.

Ich mache diesen einen Schritt. Diesen Schritt auf die schwarzen Bretter die nach tausend Geschichten riechen. 

„Du bist selber schuld“

Mein Inneres lächelt „Ich weiß.“ und ich werde Teil einer Geschichte, die erzählt werden muss. 

Heidi Salmhofer