Er ist heute- durchaus zu Unrecht – weitgehend in Vergessenheit geraten: der 1911 in Wien geborene Autor Fritz Hochwälder. Zum Dramatiker wurde er auf Umwegen und erst in der Schweiz, wohin dem Juden und bekennenden Linken 1938 auf spektakuläre Weise via Hohenhems die Flucht gelang. Da es ihm dort aber nicht gestattet war, seinen erlernten Beruf als Tapezierer auszuüben, begann er mit dem Schreiben.
Man könnte also in seinem im Frühjahr des Jahres 1945 entstanden Schauspiel „Der Flüchtling“, zu dem ihm Georg Kaiser anregte, durchaus Autobiographisches erkennen. Doch es ist es vielmehr als die Lebensgeschichte Hochwälders und gerade dieser Umstand zeichnet das Stück aus.
Es spielt in irgendeinem Hochgebirge, in irgendeinem totalitären Regime. Der Grenzwächter und seine junge Frau zelebrieren in ihrem selbst geschaffenen Haus in eingespielten patriarchalischen Ritualen eine scheinbare Idylle. Sie wir jäh durch das Erscheinen des Flüchtlings auf -gelinde gesagt -die Probe gestellt. Der Flüchtling findet Unterschlupf im Bett der Frau, die seine Anwesenheit nicht länger verbergen kann. Sie verweigert die Anordnung ihres Gatten, mit dem Outlaw kurzen Prozess zu machen. Die Dinge nehmen eine Wendung, aus dem gesetzestreuen, aber skrupellos / opportunistischen Wachbeamten wird nun das Opfer. Er stirbt im Kugelhagel. Frau und Flüchtling entkommen Ein neue Regierung steht ante portas oder ist sie schon an der Macht?
In Österreich gab man den Flüchtling meines Wissens zum vorletzten Mal im Mai 2019 am Vorarlberger Landestheater aufgeführt. Eine sehr aufwendige Variante mit Videoeinspielungen wurde gewählt.
Anders naturgemäß auf der kleinen Bühne im Theater Center Forum. Hier wird ganz auf psychologische Durchdringung der Akteur*innen gesetzt. Das Bühnenbild ist knapp naturalistisch gehalten (Bühne Klaus Rott/Erwin Bail).
Regisseurin Angelica Schütz meistert die nicht gerade geringe Herausforderung durchwegs gut. Denn wir haben es bei Hochwälders Schauspiel mit überaus indifferenten Personen zu tun. Ist der Flüchtling Idealist, Widerstandkämpfer oder ganz einfach nur darauf bedacht, seine Haut vor dem so gut wie sicheren Tod durch Zwangsarbeit im Bergwerk zu retten? Florian-Raphael Schwarz verkörpert ihn als Getriebenen. Selbst als es ihm gelingt, seinen Widerpart in die Enge zu treiben wirkt er fragil.
Intensiv und überzeugend Anna Sophie Krenn als Frau. Ihr zunächst lediglich instinktives Engagement für den Flüchtling verdichtet sich zur fixen Idee, ja zum erbitterten Kampf, der Tristesse zu entkommen, den sie mit feuchten Augen, aber auch tatkräftig verfolgt.
Christoph Prückner beherrscht alle Facetten der so widersprüchlichen und letztlich als einzig tatsächlich gescheiterten Figur des Grenzwächters.
Geringe Verfehlung der Gattin sieht er als gönnerhafter Herr des Hauses mit sonorer väterlicher Stimme und blinzelnden Augen noch nach. Als es brenzlig wird, gerät er zum Monster doch auch zum Märtyrer aus Selbstmitleid. Ein Höhepunkt ist wohl jene Szene, in der der Erniedrigte sein Gewehr, das systemerhaltende Utensil, auf seine Schultern legt und dieses zum Balken des Kreuzes Christi mutiert.
Alles in allem dichtes, konzentriertes Schauspielertheater im Miniformat, bei dem das Publikum nicht zur Ruhe kommt. Dieses dankte mit langanhaltendem Applaus.
Marius Pasetti